Flucht und Migration Bedrohung oder Bereicherung?

Im Herbst 2015 rief mich der damalige Bürgermeister von Möhrendorf, wo ich wohne, an  und bat mich in’s Rathaus zu kommen. Flüchtlinge seien angekündigt, die mit gespendeter Kleidung zu versorgen seien. Damals erschien uns das befremdlich. Ich kam und lernte meine ersten beide „Fälle“ kennen: zwei zwölfjährige iranische Jungs ohne Deutschkenntnisse und ohne warme Socken, die im Lauf der folgenden Jahre mit viel Betreuung von uns Möhrendorfer*innen eine erfolgreiche Schullaufbahn absolvierten. Seitdem habe ich zusammen mit vielen anderen Mitbürger*innen Pakistaner*innen, Iraker*innen, Armenier*innen, Ukrainer*innen, Kurd*innen aus verschiedenen Ländern, Äthiopier*innen und zahlreiche Syrer*innen in schwierigen Etappen ihres Lebens begleitet. Neue Existenzen wurden gegründet, Bildungswege gefunden, soziale Kontakte sind entstanden. Der Mehrheit der Geflüchteten ist es gelungen hier Fuß zu fassen, aber es sind auch Menschen verloren gegangen: unbekannt verzogen, untergetaucht oder einfach gescheitert.

Möhrendorf hat ca. 4800 Einwohner*innen und es leben hier zurzeit ca. 400 Ausländer*innen, von denen etwa 50 Geflüchtete sind. Zeitweise waren es über 100, die dezentral in mehreren Unterkünften untergebracht waren. Damit hatte unser Dorf im Landkreis den prozentual höchsten Ausländer*innenanteil und zugleich weiterhin eine extrem niedrige Kriminalität, wie uns der jährliche Polizeibericht eröffnete. Die „Deutschen“ haben die Neuankömmlinge freundlich aufgenommen und gerade Ältere haben sich z. B. im Sprachunterricht enorm engagiert. Hilfe beim Jobcenter, Gespräche mit Lehrern, Praktikumsplätze finden, Arztbesuche begleiten, fehlende Ausstattung ergänzen, Dolmetscher kontaktieren… die Liste unserer Aktivitäten ist endlos.

Wenn ich „Deutsche“ schreibe, ist das eigentlich irreführend. Im Zentrum Europas, wo wir leben, gab es immer große Wanderungsbewegungen als Folge klimatischer Veränderungen, wirtschaftlicher Entwicklungen und im Zusammenhang mit Kriegen. Arbeitssuchende und Flüchtlinge prägten unser Land auch im letzten Jahrhundert und machten es erfolgreich.

Wir sind die zweitälteste Gesellschaft der Welt und die Zuwanderung junger Menschen ist gut. Zugleich eröffnen uns die neuen Mitbürger*innen den Blick über den eigenen Tellerrand und helfen uns Lebensentwürfe mit anderer kultureller Prägung zu verstehen. Schließlich setzen wir uns als aktive Bürger*innen mit unserer eigenen Bürokratie und Informationsstruktur auseinander und erkennen, dass da durchaus nicht alles klar und hilfreich gehandhabt wird. Durch die Betreuung der Geflüchteten wurde den Helfer*innen auch gezeigt, dass Rechtssicherheit und v. a. – Klarheit keine Selbstverständlichkeit sind. An dieser Stelle wird mit einer Expertin der Diakonie zusammengearbeitet und so auch inhaltlich viel dazugelernt, wovon die Helfer*innen sehr profitieren und ihr Wissen dann wiederum weitergeben können.

Eine der Wurzeln der grünen Bewegung ist der Pazifismus, der in den 70er Jahren in offener Konfrontation zu den Konzepten der konservativen Politik stand. Auch wenn sich im Verlauf der letzten 50 Jahre eine Realo-Position durchgesetzt hat, so bleiben doch die Grünen dem Ziel der Friedenssicherung verpflichtet. Entsprechend können wir den Opfern absurder Kriege Hilfe nicht verweigern.

Zugleich ist es nicht verwunderlich, dass Menschen der Perspektivlosigkeit in ihren verarmten Herkunftsländern zu entkommen versuchen. Hier muss durch eine nicht auf unseren Vorteil ausgerichtete wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit dafür gesorgt werden, dass sich die Lebenschancen in diesen Regionen verbessern und nicht gerade die Besten emigrieren. Wir profitieren aber leider immer noch von der Armut mit jämmerlichen Arbeitslöhnen in vielen Ländern Asiens und Afrikas.

Im Laufe der Jahre ist aufgefallen, dass es immer wieder vorkommt, dass den Personen, die rechtmäßig in Deutschland leben, dennoch im Rahmen ihrer Integration Steine in den Weg gelegt werden, indem ihnen immer wieder nur kurze Aufenthaltsgenehmigungen erteilt werden. Dadurch ist es sehr schwer sowohl eine Arbeit als auch eine Wohnung zu finden und sich hier ein Leben aufzubauen. Auch fühlen sich diese Menschen weiterhin unsicher, immer mit der untergründigen Sorge, doch wieder weiterziehen zu müssen. Aufgrund dessen fordert Bündnis 90/die Grünen ein Absenken der Hürden zur Erlangung einer Niederlassungserlaubnis. Nur mit einem sicheren Aufenthalt kann ein funktionierendes Zusammenleben klappen, wovon schlussendlich alle profitieren.

Eva Hammer, OV Möhrendorf

Artikel kommentieren

Artikel kommentieren